Die Macht der Optionalität
Nichts wird dich im Leben mehr voranbringen, als Optionalität zu meistern. Das Konzept ist beim erfolgreichen Investieren genauso hilfreich wie dabei, die richtigen Entscheidungen für deinen Beruf in die Wege zu leiten – und hat selbst bei Pandemien seinen Platz.
Was ist Optionalität?
Bei Optionalität geht es sprichwörtlich darum, möglichst viele Optionen zu haben. Denn das kann seinen ganz eigenen Wert entwickeln und unerwartete Vorteile mit sich bringen, wie insbesondere Abschnitt VI veranschaulicht.
Wenn du dich für ein Investment entscheidest, dann ist es von enormem Vorteil, wenn dieses unter sehr unterschiedlichen Bedingungen erfolgreich sein kann – wie ich in Abschnitt I an einem konkreten Beispiel zeige. Gleiches gilt für deine berufliche Laufbahn: Hier viele verschiedene Möglichkeiten statt nur einer Option zu haben, hat nichtlineare Vorteile, auf die ich weiter unten im Detail eingehe (in Abschnitt V).
Optionalität entsteht auch in asymmetrischen Situationen. Wie am Pandemiebeispiel in Abschnitt II deutlich wird, geht es bei dabei oft darum, mit sehr überschaubarem Aufwand große Effekte zu erzielen. Zentral daran ist, dass das Risiko klar eingegrenzt ist (beispielsweise: Du riskierst 1% deines Vermögens, um davon Bitcoin zu kaufen), der potentielle Nutzen aber riesig groß. Wer 2002 Amazonaktien erworben hat, hatte ein nicht geringes Risiko, sein Geld zu verlieren – aber der daraus entstehende Gewinn war um ein Vielfaches höher.
In Abschnitt IV wird aber zugleich auch deutlich, dass Optionalität immer eine Frage des Kontexts ist. Beispielsweise macht es einen wichtigen Unterschied, ob du deine Bitcoins oder deine Amazonaktien mit Schulden, oder aber aus eigener Tasche finanziert hast.
I. Investmentbeispiel: Whiskey
Ich werde gelegentlich um Rat gefragt, wenn es ums Investieren geht. Ein völlig ernst gemeinter Ratschlag, den ich gerne gebe und der dann regelmäßig für größere Heiterkeit sorgt, ist meine Empfehlung, Whiskey zu kaufen. Um genau zu sein: Jüngeren Whiskey. Die Idee dahinter ist sehr einfach, und hat ebenfalls sehr viel mit Optionalität zu tun.
Szenario 1: Die Welt geht ihren gewohnten Gang
In einer Welt, die ihren gewohnten Gang geht, handelt es sich dabei um ein gutes Investment, weil der Whiskey durch seine Reifung noch an Wert gewinnt. Dem gegenüber steht ein gewisser Verdunstungsprozess, der sich aber recht genau kalkulieren lässt, was insgesamt zu einem Szenario mit erwartbaren Gewinnen führt. Bonus: Dieser Wert ist auch bei Währungsturbulenzen stabil.
Szenario 2: Schwere Krise
Im Fall einer schwereren Krise wird der Wert dieses Investments erst so wirklich deutlich. Dabei rede ich insbesondere von Hyperinflationsszenarien und Situationen mit akuter Güterknappheit, wie beispielsweise in Deutschland in den Jahren direkt nach dem 2. Weltkrieg. Dabei ist auch völlig gleichgültig, wie gereift dein Whiskey zu diesem Zeitpunkt ist: Sofern er noch betrunken macht, wird er auf dem Schwarzmarkt Gold wert sein. Denn harter Alkohol ist immer gefragt, gerade in schweren Krisen.
Aus dem Bericht eines Überlebenden des Bosnienkriegs: „I had lots of alcohol and traded it without problems. Alcohol consumption grew over 10 times as compared to peacetime.“
Szenario 3: Nuklearapokalypse
Solltest du ein solches Szenario überleben und dein Whiskey dabei intakt bleiben, dann kannst du dich immerhin noch mit dem Zeug betrinken, sofern du niemanden mehr zum Warentausch ausfindig machen kannst.
Zusammengefasst
Der Wert des Whiskeys liegt also vor allem darin, dass du ihm in nahezu jeder Situation etwas abgewinnen kannst. Das ist in dieser Form mit Bargeld beispielsweise nicht der Fall – das funktioniert nur, solange andere Leute noch daran glauben, also wahrscheinlich nur, solange die Wirtschaft des Ausstellerlandes nicht zusammengebrochen ist. Und anders als Gold wiederum wird der Whiskey seinen Wert auch im Normalszenario zuverlässig steigern. Und Whiskey ist auch leichter in Kleinportionen teilbar als Gold.
Wir lernen also: Optionalität heißt auch, unabhängig vom Lauf der Weltgeschichte profitieren zu können. Das macht dich weniger verwundbar, weil dein Wohlergehen dann nicht mehr unmittelbar von deiner Prognosefähigkeit abhängt.
II. Pandemiebeispiel: Notfallvorräte
Ich hatte relativ früh (im Februar) auf die kommende Coronavirus-Pandemie hingewiesen, und auf meinem Sportwetten-Blog dazu geraten, Vorräte anzulegen. Der wahre Sinn darin schien nicht jedem klar zu sein, jedenfalls ausgehend von Gesprächen, die ich mit Freunden und Verwandten zum Thema geführt habe. Auch dahinter steckt die Idee der Optionalität.
Ich habe im Lauf des Februars meine Vorräte nicht etwa deswegen aufgestockt, weil ich Panik gehabt hätte, dass die Versorgung komplett zusammenbricht. Dagegen gewappnet zu sein, war lediglich ein beruhigender Nebeneffekt. In erster Linie ging es mir darum, dass mir meine Vorräte die Möglichkeit eröffneten, zur Not das Haus nicht verlassen zu müssen – was mit Abstand die sicherste Methode war und ist, sich und andere nicht mit COVID-19 anzustecken.
Und hätte sich die Pandemie als für unsere Weltgegend nicht so wild entpuppt (wie seinerzeit beispielsweise SARS, MERS oder Ebola), dann hätte ich eben ein paar gut haltbare Vorräte extra daheim gehabt, die ich über kurz oder lang ohnehin verwendet hätte.
Optionalität bedeutet bei einer Pandemie also schlicht, zu Hause bleiben zu können – eine Option, die ich mir ohne besondere Kosten offen halten konnte (monetär wie gesundheitlich), weil ich rechtzeitig gehandelt habe.
III. Das Bargeldbeispiel: Kurzfristig verfügbares Geld
Geld repräsentiert eine ganz eigene Form von Optionalität. Typischerweise wird einem jenseits von geringeren Summen davon abgeraten (insbesondere von Vermögensberatern, die ihrerseits noch auf die Gehaltszahlungen ihres Arbeitgebers angewiesen sind), Geld kurzfristig verfügbar vorrätig zu halten. Man möge es doch lieber investieren!
Allerdings ist das in meinen Augen falsch. Entweder bist du noch nicht wohlhabend genug, um über größere Investitionen nachzudenken. In diesem Fall solltest du dich erst einmal darauf konzentrieren, eine gewisse Grundmenge kurzfristig verfügbaren Bargelds anzuhäufen, um auf unerwartete Probleme reagieren zu können. Beispielsweise, wenn dein Computer oder deine Waschmaschine den Geist aufgibt. Ein Punkt übrigens, den ein gewisser Mark Cuban durchaus sehr ähnlich sieht.
Oder aber du kannst bereits ordentliche Mengen Geld investieren. Auch dann solltest du einen Mindestanteil davon flüssig verfügbar halten, um auf sich plötzlich bietende Möglichkeiten reagieren zu können. Das klassische Beispiel dafür ist der Aktienmarkt: Wenn mal wieder eine größere Krise ansteht und die Kurse frisch gesunken sind, willst du nicht nackt da stehen – sondern einkaufen können. Das wiederum ist ein Geschäftsmodell, das Warren Buffet perfektioniert hat.
Gleichermaßen solltest du Kapitalreserven bereit halten, falls neue Technologien für neue Investitionsmöglichkeiten sorgen, die du für vielversprechend hältst. Die Entdeckung von Bitcoin und Ethereum war für mich jeweils ein solcher Moment.
Ferner könnten sich zum Beispiel auch Investitionsmöglichkeiten in neugegründete Firmen für dich auftun, wenn du die richtigen Leute kennst. Gerade in Coronaviruszeiten herrscht sicher kein Mangel an kleineren und an sich profitablen Unternehmen, die dringend Geld benötigen, um durch die Krise zu kommen.
Opportunitätskosten
Du kannst dich dem Prinzip der Optionalität auch nähern, indem du dir das Konzept Opportunitätskosten vor Augen führst. Bei Opportunitätskosten handelt es sich um die Kosten, die dir entstehen, weil du dich für einen bestimmten Kurs oder eine bestimmte Handlung entschieden und dementsprechend auf etwas anderes verzichtet hast. Wenn du beispielsweise 10.000 Euro abhebst, und dir dafür Gold kaufst, entstehen dir dadurch Opportunitätskosten – denn dieser Betrag ist jetzt gebunden und steht nicht für andere Investitionen zur Verfügung.
Im Stil von Warren Buffett Geld vorrätig zu halten, um damit bei guten Gelegenheiten zuschlagen zu können ist also eine Technik, um Opportunitätskosten zu minimieren – und Optionalität zu maximieren.
IV. Schulden sind das Gegenteil von Optionalität
Schulden repräsentieren das absolute Gegenteil von Optionalität, was sie brauchbar macht, um das Konzept zu verstehen. Nehmen wir an, dass du Schulden aufnimmst, um eine Investition zu tätigen, beispielsweise um die Aktien eines bestimmten Unternehmens zu kaufen.
Das ist eine Wette, die durchaus aufgehen kann. Aber die Sache kann eben auch schief gehen. Dieser Umstand macht dich davon abhängig, dass du deine Wette gewinnst, weil dir sonst unangenehme Konsequenzen drohen.
Investierst du dagegen nur Geld, das du auch verlieren kannst, entsteht dieses Problem nicht. Die Wette im Falle eines stärkeren Kursabsturzes zu verlieren ist dann zwar immer noch nicht toll, aber verkraftbar. Dazu kommt noch die Zeitdimension: Ein Kredit zwingt dich zur Rückzahlung (mit Zinsen) innerhalb eines bestimmten Zeitfensters, was Investitionen auf Kreditbasis deutlich problematischer macht. Wirtschaftest du dagegen nur mit Geld, das dir auch gehört, gibt es nicht länger ein Zeitlimit für deine Investition – sie kann auf diese Weise auch noch zum Erfolg werden, wenn du auf Kreditbasis längst zur Aufgabe gezwungen gewesen wärst.
Die Problematik besteht im Übrigen auch auf staatlicher Ebene. Zu hohe Staatsschulden sind deswegen ein Problem, weil sie die Handlungsspielräume des Staates einschränken. Typischerweise ist das nicht so schlimm, im Falle einer plötzlichen Krise allerdings kann das sehr schnell ganz anders aussehen. Wenn ein Staat auf die Schnelle viele neue Schulden aufnehmen kann, ist er automatisch gegen kommende Krisen besser gewappnet: Italien und Deutschland sind dafür gute Beispiele an beiden Enden des Spektrums.
Das Abbauen von Schulden, privat wie staatlich, hat also einen sehr klaren Wert: Es erhöht die Optionalität.
V. Der Skill Stack: Berufliche Optionalität
Auf meinem Sportwetten-Blog schreibe ich im Blogpost über das systematische Geld verdienen mit Sportwetten unter anderem über den sogenannten Skill Stack. Diesen Begriff hat Scott Adams geprägt und ausführlich in seinem Buch How to Fail at Almost Everything and Still Win Big darüber geschrieben. Er beschreibt wörtlich deinen Fähigkeitstapel, das Profil deines Könnens. Eine bestimmte deiner Fähigkeiten mag trivial sein, doch je mehr du dazu addierst (Programmieren zum Beispiel), desto einmaliger und interessanter wirst du auf dem Arbeitsmarkt.
Selbst in sich relativ banale Fähigkeiten (beispielsweise sehr gut mit Excel arbeiten zu können) werden schnell zu einem riesigen Vorteil für dich, wenn du sie mit Knowhow kombinieren kannst, über das deine Konkurrenten nicht verfügen.
Das Ausbauen deines Fähigkeitsprofils ist letztlich nichts anderes als das Schaffen beruflicher Optionalität. Jede weitere erworbene Fähigkeit steigert deine Möglichkeiten exponentiell, denn wenn sie relevant genug sind kannst du:
- von deinem gegenwärtigen Arbeitgeber mehr Geld verlangen, weil du jetzt besser bist
- deinen Arbeitsplatz wechseln, weil du durch deine neuen Fähigkeiten mehr Optionen hast
- von deinem Arbeitgeber bessere Konditionen verlangen, weil du wechseln kannst
- möglicherweise gar dein eigenes Unternehmen gründen
Du eröffnest dir also zusätzliche Wege, erfolgreich zu sein, und noch wichtiger: Deine Erfolgsaussichten auf dem einen Pfad (Arbeitsplatzwechsel) verbessern zugleich deine Erfolgsaussichten auf dem anderen (besseres Gehalt/bessere Konditionen). Besser geht es nicht in Sachen Optionalität.
VI. Das Schachbeispiel: Aus Nachteil wird Vorteil
Auf Twitter hat der mittlerweile leider verstorbene Alexander Bogomolny folgendes Wahrscheinlichkeitsproblem gepostet, das illustriert, wie Optionalität eine nachteilige Situation in eine vorteilige verwandeln kann:
— Joachim Marnitz (@crimsonceo) April 25, 2020
Schachspieler A hat also die Möglichkeit, zwischen zwei Strategien gegen Spieler B zu wechseln:
- Die mutige Strategie führt in 45% der Fälle zum Sieg gegen Spieler B, und endet in 55% der Fälle mit einer Niederlage.
- Die konservative Strategie endet in 90% der Fälle mit einem Unentschieden, und führt in 10% der Fälle zu einer Niederlage für Spieler A gegen B.
Spieler A hat nun die Aufgabe, eine Serie von 2 Spielen gegen Spieler B insgesamt zu gewinnen. Steht es nach zwei oder mehr Spielen unentschieden, wird so lange weiter gespielt, bis ein Sieger ermittelt wird.
Die optimale Strategie sieht für Spieler A folgendermaßen aus:
Um zur Endwahrscheinlichkeit für einen bestimmten Pfad zu gelangen, multiplizierst du einfach die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten auf dem Weg. Für den Endstand 1.5 -0.5 wäre das also 0.45 * 0.90 = 0.405 = 40.5%.
Wenn wir die verschiedenen möglichen Ausgänge für diese strategisch optimale Vorgehensweise aufaddieren, landen wir bei folgendem Ergebnis:
Das Erstaunliche am Ergebnis dieser optimalen Lösung ist, dass Spieler A eine höhere Wahrscheinlichkeit als Spieler B hat, die Serie zu gewinnen, obwohl beide Strategien individuell gegenüber B unterlegen sind. Doch da Spieler A die Möglichkeit hat, für jedes Spiel zwischen zwei Strategien zu wählen (anders als Spieler B), kommt er mit Hilfe dieser Optionalität dennoch zu einer besseren Gesamtsiegwahrscheinlichkeit.
Fazit
Optionalität ist kein völlig leicht zu fassendes Konzept (auch wenn sie leichter zu begreifen als zu erklären ist), weil sie so viele Formen annehmen kann. In jedem Fall ist unbestreitbar, wie das Schachbeispiel selbst mathematisch illustriert, dass dir das Verinnerlichen dieses Prinzips enorme Vorteile im Leben bringen kann, selbst in relativ kleinen Dingen.
Optionalität kannst du in allen möglichen Lebensbereichen finden, du musst nur ein geübtes Auge dafür haben. In einer Stadt wohnen statt auf dem platten Land, lebenslanges Lernen, regelmäßige Partybesuche, obsessives Vermeiden von Schulden und das Anlegen von Vorräten sind alles recht banale Beispiele dafür, wie du Optionalität in dein Leben bringen und von ihr profitieren kannst. Nichts davon erfordert besondere Intelligenz oder herausragende Hellseherfähigkeiten – sondern nur ein wenig gesunden Menschenverstand.
He mein großer , Hoff es geht dir gut.
Sehr gut geschrieben und erklärt.
Gefällt mir immer mal was von dir zu lesen, mach weiter so 👍
Gruß Daniel
Hey Daniel, alles bestens hier. Vielen Dank für den Kommentar und das Lob – ist schön, dass wir 20 Jahre später noch im Gespräch sind! Wenn der Coronawahnsinn durch ist, müssen wir dringend mal persönlich anstoßen.
Wäre es möglich, die Optionalität im Bezug auf „In einer Stadt wohnen statt auf dem platten Land“ auszuführen? Denn meiner Ansicht nach hat man vllt in der Stadt mehr Optionen in der Anzahl (wobei das auch individuelle Sichtweise ist), aber letztendlich kommt es doch darauf an welchen individuellen Nutzen man den einzelnen Optionen zuteilt. Also kann doch durchaus Menschen geben, dessen Optionalität auf dem Land größere ist als in der Stadt?
Hi Bernd, das ist sicher richtig – ein Landwirt beispielsweise wird auf dem Land sicher mehr Optionalität haben als mitten in der Stadt, keine Frage. Es ist also eine Frage des Kontexts und eine der persönlichen Fähigkeiten. Das ist kein absoluter Wert, auch nicht innerhalb eines einzelnen Lebens.
Es sind durchaus auch gesamtgesellschaftliche Szenarien denkbar, in denen es plötzlich sehr ungünstig wird, in einer Stadt zu leben, und damit sehr schlecht für die Optionalität. Im Zweiten Weltkrieg beispielsweise war es in Städten sehr gefährlich, und auch im Fall des Zusammenbruchs der der öffentlichen Ordnung würde es in Ballungszentren sehr schnell sehr ungemütlich.
Optionalität kann hier auch heißen, dass man sowohl auf dem Land als auch in der Stadt einen Wohnsitz hat.
Letzteres wird übrigens auch vom Autor des Artikels über seine Lehren aus dem Bosnienkrieg erwähnt.
Ansonsten kann ich auch noch ergänzen, dass man die Optionalität der Stadt nicht selten teuer bezahlt, wie man vielerorts an Immobilienpreisen ablesen kann. In manchen Fällen wie München oder London sogar so viel, dass es die eigene Optionalität sehr handfest einschränkt – sei es, weil man hohe Mieten bezahlt, oder weil man lange pendeln muss.