Wie faktisch richtige Fake News funktionieren: Eine Fallstudie
Fake News in den Mainstreammedien nehmen meist andere Formen an, als man sie von der Aluhut-Fraktion erwarten kann. Eine beliebte Technik: Die Nachricht ist faktisch richtig, führt aber dennoch in die Irre. Letzte Woche bin ich auf ein gutes Beispiel im Zusammenhang mit Antifa gestoßen.
Die Kontroverse drehte sich um die Einstufung von Antifa als Terrororganisation seitens der Trump-Administration.
The United States of America will be designating ANTIFA as a Terrorist Organization.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 31, 2020
Wie eigentlich immer löste das reflexhafte Widerstände in weiten Teilen der amerikanischen Medienlandschaft aus, deren Tenor in die Richtung ging, dass Antifa gar keine Organisation sei, und es keine Beweise für die Beteiligung von Antifa an den Ausschreitungen gäbe. Mithin also, dass die Einstufung als Terrororganisation ungerechtfertigt sei.
Dabei bildete insbesondere folgender Artikel die Speerspitze, und wurde in sozialen Medien sehr oft als „Beweis“ für die Ungerechtfertigkeit von Trumps Tun angeführt:
An dieser Stelle will ich im Übrigen gar nicht weiter bewerten, ob man Antifa als Terrorgruppe einstufen sollte oder nicht; mir geht es um die Fake News-Techniken, die Ken Klippenstein in seinem Beitrag anwendet. Fangen wir an.
Faktische Fake News Technik #1: Die implizierte Verallgemeinerung
Wenn man nur die Schlagzeile betrachtet, entsteht schnell der Eindruck, als habe es laut FBI keine Beteiligung der Antifa an den Protesten des 31. Mai gegeben. Die etwas genauere Lektüre der ersten Zeilen macht dann aber klar, dass es sich bei der Quelle ganz spezifisch um das FBI Washington Field Office handelt, das über die Proteste in der DC-Area berichtet (in der Hauptstadt Washington, D.C. also).
Natürlich ist das ein erheblicher Unterschied. Denn logischerweise wird sich die Frage, ob Antifa landesweit als Terrororganisation einzustufen ist, nicht allein an ihrer Aktivität oder Nichtaktivität nur in der Hauptstadt entscheiden. Dass Antifa zumindest jenseits der Hauptstadt übrigens sehr wohl aktiv beteiligt ist, wird alleine schon aufgrund verschiedener Twitterpräsenzen deutlich (dazu weiter unten mehr), ist aber auch in diversen lokalen Medien dokumentiert.
Der Artikel nimmt also auf der Grundlage einer lokalen Situation und anhand des Lageberichts nur einer Behörde eine unzulässige Verallgemeinerung auf die landesweite Lage vor.
Technik #2: Abwesenheit von Beweisen als Beweis von Abwesenheit darstellen
Auf diesen Aspekt bin ich auch schon im Blogpost Wann „evidenzbasiert“ für die Mülltonne ist zu sprechen gekommen: Abwesenheit von Beweisen ist nicht Beweis von Abwesenheit. Schauen wir uns noch einmal die selbe Eröffnungspassage an, mit einem anderen Fokus:
Es mag durchaus sein, dass das Washington Field Office des FBIs keine Hinweise auf die Aktivität von Antifagruppen in der Hauptstadt hat; das heißt aber noch längst nicht, dass es solche Aktivitäten nicht dennoch gegeben hat. Es kann ihnen ja schlicht entgangen sein (anders als ihren Kollegen in Austin zum Beispiel).
Diese Form der Gleichsetzung der Abwesenheit von Beweisen mit dem Beweis von Abwesenheit passiert relativ häufig – auch in ganz anderen Fällen, beispielsweise medizinischen Diagnosen. Da es sich dabei um einen weit verbreiteten Fehler schlampigen Denkens handelt, will ich nicht einmal zwingend Absicht unterstellen.
In jedem Fall war/ist das Phänomen auch im Zusammenhang mit der Coronaviruskrise oft zu besichtigen. Beispielsweise hieß es lange seitens der WHO, verschiedener Gesundheitsbehörden und vieler Medien, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass das Tragen von Masken effektiv sei. Oder keine Hinweise darauf, dass SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch übertragbar sei.
Unterm Strich ist es eine beliebte Technik, um Scheinargumente zu erzeugen und zu versuchen, Diskussionen im Keim zu ersticken. In diesem Fall die Idee, dass Trump mit seiner Analyse und Reaktion womöglich gar recht haben könnte.
Faktische Fake News Technik #3: Das Weglassen relevanter Informationen
Was gerne vergessen wird: Fake News entstehen nicht alleine durch das Verbreiten falscher Informationen. Noch eleganter (weil faktencheckresistent) ist es, bestimmte Aspekte einer Geschichte einfach auszusparen.
In diesem Beispiel dient dem Journalist in erster Linie das Dokument des FBI Washington Field Office als Grundlage. Was Herr Klippenstein bewusst oder unbewusst versäumt: Nach Indizien zu suchen, die dieser Darstellung möglicherweise widersprechen könnten. Also beispielsweise, ob es Antifaaktivitäten in bedeutenden anderen Landesteilen gab.
In diesem Fall wäre nicht einmal sonderlich viel Recherche nötig gewesen, weil Antifagruppen sehr aktiv auf Twitter sind, und in Teilen nicht den geringsten Hehl aus ihren Aktivitäten der letzten Zeit machen.
Sie sind auch leicht zu finden, weil sie sich ständig gegenseitig retweeten, oder anders gesagt: sie sind stark vernetzt. Zwei Beispiele von vielen:
Wer noch Fragen zur ideologischen Ausrichtung hat, dem sei das Informationsvideo auf der Webseite der zweiten Gruppe empfohlen.
Fake News Technik #4: Kein Kontext
Der Artikel betont auch, dass Antifa keine Organisation sei, mithin also nicht als Terrorgruppe eingestuft werden könne:
Wie gesagt: Ob man Antifa als Terrorgruppe einstufen sollte oder nicht, will ich in diesem Zusammenhang gar nicht beurteilen. Wichtig wäre hier allerdings ein wenig historischer Kontext gewesen, den Herr Klippenstein und viele seiner Kollegen aber tunlichst ignorieren.
Es ist korrekt, dass Antifagruppen dezentralisiert sind und sich als lokale Zellen organisieren – die allerdings miteinander kooperieren, innerhalb der USA auch über Bundesstaatsgrenzen hinweg. Mit Al-Quaida gibt es ein internationales Beispiel für ein Terrornetzwerk, das ebenfalls dezentral und lokal organisiert ist. Dass Antifa nur ein eher loser Verbund ist, ist also nicht zwingend ein Gegenargument.
Fazit: Ken Klippenstein führt faktisch korrekt in die Irre
Wollte man dem Artikel mit dem allseits beliebten Faktencheck zu Leibe rücken, wäre vermutlich nicht viel zu holen. Sofern das FBI-Dokument tatsächlich existiert (woran ich nicht zweifle), dann stimmt jede Zeile des Artikels auf faktischer Ebene.
Zu Fake News wird der Artikel sprichwörtlich zwischen den Zeilen: Ken Klippenstein greift die wichtige geographische Einschränkung in der Schlagzeile nicht auf. Vermutlich gibt es dafür zwei wesentliche Motivationen: Clickbait und das Narrativ in eine gewünschte Richtung zu lenken.
Ferner ist der Artikel (absichtlich?) schlampig recherchiert, begeht logische Fehler und ordnet die Geschehnisse nicht in den nötigen Kontext ein.
In meinen Augen ist es wichtig, diese Taktiken zu durchschauen und klar zu benennen, da sie im Mainstream mittlerweile weit verbreitet sind. Das hat tiefgehende strukturelle Gründe, die ich unter anderem dem Untergang der Blauen Kirche zuschreibe – und ganz spezifisch der Todesspirale der klassischen Medien, der ich bald einen längeren Kernthesen-Artikel widmen werde.
Mainstreammedien helfen nicht länger dabei, die Welt zu verstehen – stattdessen vernebeln sie dem Konsumenten die Sinne.
Zum Thema Fakenews hat der Indogermanist Daniel Scholten auf seinem exellenten Blog belleslettres.eu vor 2-3 Jahren schon ein Video-Tutorial gemacht. Sehr empfehlenswert, wie auch der Blog insgesamt.
https://www.belleslettres.eu/content/sprache/fakenews.php
Hallo David, vielen Dank für den Beitrag und den Link! Das ist wirklich sehr interessant, der Blog sieht auch spannend aus.
Ich kämpfe noch etwas mit den Videos (das Runterladen/Streamen ist gerade eine etwas zähe Angelegenheit mit vielen Pausen), habe aber zumindest schon die erste Stunde des Fake News Beitrags geschafft. Exzellent gemacht, bin schon auf den Rest gespannt.