Biden vs Trump vs COVID-19: Wie die Debatte und Trumps Infektion den Wahlkampf verändert

Auf meinem Wettblog habe ich im Juli darüber geschrieben, dass ich auch 2020 Trumps Chancen für massiv unterbewertet halte. Aber wie hat sich das Rennen durch die erste Debatte und Trumps positiven COVID-Test verändert?

Update: ich habe zum selben Thema auch folgenden Podcast auf Englisch aufgenommen:

I. Die Präsidentschaftsdebatte zwischen Trump und Biden

Wenn ich gezwungen wäre, nur den Gewinner der Debatte zu nennen, würde ich sagen: Das Ergebnis war irgendetwas zwischen einem taktischen Sieg für Biden und einem Unentschieden. Allerdings wird die Sache deutlich schwieriger, wenn man das eigentlich relevante beantworten will: Wie hat die Debatte das Rennen verändert? Denn dabei kommt es auf Details an, die nicht unbedingt offensichtlich zu sein scheinen – jedenfalls wenn ich mir anschaue, wie die Debatte im Mainstream bewertet wurde.

Die Minute, in der beide aus einer goldenen Gelegenheit ein Eigentor machten

Der für mich bezeichnendste Schlagabtausch der Debatte schlechthin begann in dem Moment, als Trump gefragt wurde:

Are you willing, tonight, to condemn white supremacists, and militia groups, and to say that they need to stand down […]?

https://youtu.be/wW1lY5jFNcQ?t=5584

Hier hätte Trump die Möglichkeit gehabt, Rassisten und entsprechende Gruppen klar und deutlich zu verurteilen. Wenn man genau hinhört, hat er das zwar getan, aber es kam nicht klar und damit nicht überzeugt rüber (dazu gleich noch mehr). Für mich ein klares Eigentor.

Trump geht dann sofort zum Gegenangriff über und verweist auf die von Antifa ausgehende Gewalt, woraufhin Biden seinerseits die goldene Gelegenheit verpasst, Antifa zu verurteilen. Stattdessen versteckt er sich hinter der albernen Bemerkung, dass es sich bei Antifa nicht um eine Organisation, sondern eine Idee handele[1]: Eigentor Biden.

Warum wenn überhaupt jemand, dann Biden die Debatte gewonnen hat

Die Debatte als Ganzes war ein Etappensieg für Biden, weil er es geschafft hat, ohne seine berühmten „kognitiven Momente“ durch zu kommen. Er wirkte im Wesentlichen mental frisch, und übertraf alleine dadurch die Erwartungen. Allerdings liegt hier auch schon ein großes Problem für ihn, sollte es noch zu einer zweiten oder gar dritten Debatte kommen.

Dann nämlich hat er den klaren Nachteil, nicht länger von einer so niedrigen Anspruchshaltung profitieren zu können. Bei der nächsten Debatte liegt die Messlatte höher, und er wird vermutlich relativ zu den Erwartungen schlechter abschneiden. Aus diesem Grund wäre aus meiner Sicht die beste Strategie für Biden, weitere Debatten zu vermeiden.

Das hat auch noch einen anderen Grund: Im Lauf der Debatte mit Trump hat sich Biden selbst ein paar Fallstricke gelegt, in denen er sich vor der Wahl noch verfangen könnte.

Der „Very Fine People Hoax

Schon Bidens Auftaktvideo für seine Kampagne schlug in die selbe Kerbe wie das genannte Debattensegment weiter oben: Dass Trump nach den Ereignissen in Charlottesville von „very fine people on both sides“ gesprochen habe, statt Rassisten und Neonazis zu verurteilen und sich von ihnen zu distanzieren.

Das allerdings stimmt nicht: Wie auch Joe Biden ließen die Mainstreammedien diese Verdammung lediglich weg in der zusammenfassenden Berichterstattung[2], allerdings ist sie dokumentiert und existiert darüber hinaus auch noch in Ton und Bild:

Ein Transkript der fraglichen Passagen, hier auf Youtube mit Zeitstempel (0:56)

Es wird also von Seiten weiter Teile des Medienmainstreams als auch von Seiten der Bidenkampagne gerne so getan, als sei Trump nicht willens, Rassisten und Neonazis zu verdammen – doch das ist schlicht nicht wahr, denn Trump hat dies schon sehr häufig explizit getan. Bei diesem strategischen Weglassen in der Berichterstattung handelt es sich im Übrigen um eine sehr beliebte Fake News-Technik der Mainstreammedien.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass ausgerechnet der Moderator Wallace in der Debatte diese Frage stellte, denn er hatte das 2016 in einer Debatte für die republikanische Nominierung auf sehr ähnliche Weise schon einmal getan:

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Wie für Trump aus einer taktischen Niederlage ein Sieg werden kann

Das Problem für Biden an dieser Sache: Wer wirklich recherchiert kommt relativ schnell darauf, dass Bidens Attacke auf Trump in puncto Rassismus unehrlich ist. Umgekehrt aber ist Bidens Weigerung, Antifa als reales Problem anzuerkennen, tatsächlich existent. Die Frage ist letztlich, wie sehr das den unentschiedenen Wählern auffallen wird. Darauf in einer weiteren Debatte noch einmal eingehen zu können, würde Trump mit Sicherheit helfen. Im ersten Durchgang hat er diese Chance durch sein Eigentor auf jeden Fall verpasst.

Generelles Auftreten: Wie beide Kandidaten wirkten

Viele unterschätzen den Effekt, den das Auftreten beider Kandidaten hat – unabhängig von allen Inhalten. Trump wirkte im Verhältnis zu Biden aggressiv und dominant, und ja: energetisch. Er unterbrach ihn häufig und diskutierte zuweilen sogar mit dem Moderator der Debatte. Dieses Auftreten ist ein zweischneidiges Schwert, ich denke aber, dass es in der Summe Trump geholfen hat.

Natürlich kommt er für sehr viele so als Rüpel rüber, aber: Es ist nichts, was man von ihm nicht erwartete hätte – und substantielle Teile seiner Anhängerschaft wünschen sich das sogar so von ihm. Es hat in jedem Fall einen wichtigen Effekt: Biden wirkt im Kontrast dazu geradezu unterwürfig und etwas so, als ließe er sich leicht herumschubsen. Und ob man Trump mag oder nicht: Sich herumschubsen lassen ist keine Eigenschaft, für die man einen US-Präsidenten wählt.

Typische Debattenszene

Ein interessanter kultureller Punkt: Nicht überall wird man Trump als Rüpel wahrnehmen, vielerorts gilt dergleichen eher als passionierter Diskussionsstil. Das gilt beispielsweise für viele der Hispanics, die gerade im Battleground State Florida eine sehr bedeutende Rolle spielen.

Wichtig an all dem ist vor allem eines: Was im Detail besprochen wurde, wird im Lauf der Zeit vergessen werden. Was aber bleibt ist der allgemeinere Eindruck von Trumps relativer Dominanz – und das gilt auch für Personen, die das als etwas Negatives wahrnehmen.

COVID in der Debatte

Der COVID-Teil der Debatte war auf zwei Ebenen interessant: Zum einen, weil sich daran Trumps Stärke in verschiedenen Techniken der Überzeugungskunst zeigt. Biden attackierte ihn mit den über 200.000 Toten, die das Coronavirus nach amtlichen Statistiken in den USA gefordert hat. Während normale Politiker hier vielleicht den Instinkt haben, sich zu verteidigen, verschwendet Trump damit nicht viel Zeit – weil ihm klar ist, dass er die Attacke so legitimieren würde.

Stattdessen wirft er einfach im Gegenzug Biden vor, dass es unter dessen Führung 2 Millionen Opfer gegeben hätte. Er geht also direkt in die Offensive und wechselt dadurch völlig den Fokus der Zuschauer. Zusätzlich verwendet er dabei auch den Ankereffekt – eine kognitive Verzerrung durch das Assoziieren von Zahlen. Dadurch, dass er 2 Millionen aufruft (und diese Zahl überdies noch mit Biden verknüpft), wirkt die 200.000 als relativ kleine Zahl. Bei all dem ist völlig egal, wie stichhaltig die Inhalte sind, beide Techniken beeinflussen die subjektive Wahrnehmung der Zuschauer zugunsten von Trump.

Zum anderen war das COVID-Thema auch interessant, weil Biden sehr offensichtlich immer wieder die Aufmerksamkeit darauf lenken wollte, selbst in Segmenten, die bestenfalls indirekt damit zu tun hatten. Auch Biden hatte seine Momente in Sachen Überzeugungskunst (beispielsweise als er vom leeren Stuhl am Küchentisch vieler Familien mit COVID-Opfern sprach, sehr visuell), aber insgesamt ist Trump in dieser Hinsicht einfach besser.

Im Prinzip war es eine gute Idee von Biden, COVID zum Thema im Wahlkampf und in der Debatte zu machen, da dieser Bereich klar als Schwachstelle von Trump wahrgenommen wird. Doch auch hier gibt es ein Aber, das durch Trumps COVID-Infektion womöglich noch verstärkt wird.


II. Wie sich das Coronavirus und Trumps COVID-Infektion auf das Rennen auswirken

Das Problem an Bidens Coronavirus-Strategie ist in meinen Augen, dass viele Leute das Thema langsam leid sind. Die wichtigsten Kennzahlen sind alle rückläufig, und auch die Todesrate sinkt beständig. Ein Kandidat wie Biden also, der mögliche weitere Restriktionen in Aussicht stellt, wird im Lauf der nächsten Wochen eher unpopulärer werden, da diese ganz konkrete wirtschaftliche Auswirkungen haben.

Als Wahlkampfthema war COVID zwar gut für Biden, da der Super-GAU aber insgesamt ausgeblieben ist, wird es nun immer schwächer – und ist demnach keine besonders nachhaltige Strategie. Zumindest sollte sich die Bidenkampagne gut überlegen, wie viel Priorität sie COVID wirklich einräumen will.

Eine besondere Komponente bekommt die COVID-Diskussion dadurch, dass sich Trump höchstpersönlich angesteckt hat. Jetzt wird viel vom Verlauf seiner Krankheit abhängen. Wenn er binnen 14 Tagen wieder genesen sein sollte, kann das ein großer Vorteil für ihn sein – weil er dann aus Erfahrung und mit anderer Autorität über die Sache sprechen kann. Dazu lässt ihn das stark erscheinen (nachdem er einen Moment der Schwäche überwunden hat) und trägt weiter dazu bei, das von den Demokraten gezeichnete Narrativ vom tödlichen Virus zu entkräften.

Die neue Situation eröffnet ihm auch noch eine andere Option: Sie bietet ihm eine gute Gelegenheit, seine Einstellung zum Virus öffentlich zu verändern, was sich möglicherweise bereits in dieser Ansprache im Endsegment abzeichnet:

Sollte er natürlich sterben (was Stand jetzt durchaus noch drin ist), dann ist das unbestreitbar schlecht für seine Wiederwahlchancen. Und auch ein längerer Krankenhausaufenthalt (wie bei Boris Johnson, der etwa einen Monat außer Gefecht war), wäre vermutlich der finale politische Sargnagel, da er dann schwach erscheint und nicht länger am Wahlkampf teilnehmen kann, und das ausgerechnet in der entscheidenden Phase. Aus diesem Grund hat Betfair derzeit auch den Wettmarkt auf den nächsten US-Präsidenten ausgesetzt.

Es bleibt spannend, aber ich denke nach wie vor, dass Trump letztlich gewinnen wird – allen schlechten Umfragen zum Trotz. Die Debatte mag ein kleiner Sieg für Biden gewesen sein, aber möglicherweise hat er dabei und durch Trumps COVID-Infektion dennoch den Krieg verloren.


III. Fußnoten

[1] Antifa ist im selben Maße eine Idee, wie es sich bei Al-Qaida um eine Idee handelt. Eine dezentrale Organisation, deren einzelne Zellen nichtsdestoweniger hochorganisiert und an einem gemeinsamen Ziel orientiert sind. Dazu kooperieren diese Zellen innerhalb der USA über Staatsgrenzen hinweg.

[2] Wenn man sich die vollständigen Videos ansieht, wie im Transkript-Beispiel das verlinkte von CNBC, dann sind Trumps komplette Aussagen durchaus enthalten. Sie fehlen allerdings typischerweise in zusammenfassenden Videos oder Statements, wie auch in Joe Bidens Kampagnenstart-Video.

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